Man schreibt das Jahr 1787. Der 32jahrige Arzt und Apotheker James Parkinson hat gerade seinen letzten Patienten in seiner Praxis in Hoxton Square 1 in Hoxton bei London behandelt, als fernes Donnergrollen ein herannahendes Gewitter ankündigt.

Es hat sich inzwischen in der gesamten Gemeinde Shoreditch herumgesprochen, dass sich der junge James Parkinson, wie zuvor schon sein Vater John, intensiv um jeden Patienten, ungeachtet seiner sozialen Herkunft, kümmert. So ist zu erklären, dass auch heute wieder die Praxis mit Patienten überfüllt gewesen war, denen die große Sommerhitze der letzten Tage und die schwulwarme Luft des heutigen Tages stark zu schaffen macht. Vor knapp drei Jahren ist sein Vater, von dem er das »Arzthandwerk« erlernte, gestorben. Seit dieser Zeit muss er den Ansturm der Patienten allein bewältigen und ist jederzeit zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Obwohl er seinen Patienten immer wieder sagt, sie mögen ihn nicht gleich wegen jeder Lappalie rufen, wird er nie ungeduldig, sollte der Anlass auch noch so gering sein, weshalb man ihn häufig aus dem Bett holt. Trotz allem versucht James Parkinson immer, sich etwas Zeit für die Weiterbildung und für seine Familie aufzusparen. So auch heute Abend. Seine Frau Mary hat gerade den kleinen John William Keys zu Bett gebracht und bereitet das Abendessen vor. Nach dem Essen will er noch einmal nach ihm schauen und anschließend ein wenig in den Chemical Essays von Richard Watson lesen. Das jedenfalls nimmt er sich fest vor. Wahrend er sich seinen Feierabend ausmalt, hat sich das Gewitter bereits über Hoxton zusammengezogen; es blitzt und donnert, als wolle die Welt untergehen. Die Abkühlung, die der einsetzende Regen mit sich bringen wird, wird seinen Patienten sicher gut tun.

Doch es kommt wieder einmal alles ganz anders. James Parkinson wird jäh aus seinen Gedanken gerissen, als ein aufgeregter Mann ihm mitteilt, dass dringend seine Hilfe gebraucht werde. Der Arzt greift seine Nottasche, wirft ein Cape über und hastet in Richtung Unglücksort, angetrieben von dem aufgeregten Boten, der ihm unterwegs in knappen Sätzen berichtet, dass ein Blitz in ein Haus in der Crabtree Row, nahe der Kirche eingeschlagen sei. Zwei Männer seien vom Blitz getroffen worden. Schon bald ist man an der Unglücksstelle angelangt, an der dem Arzt ein schwefliger Geruch in die Nase steigt. Er stellt mit sicherem Blick fest, welcher der beiden Verletzten seine Hilfe am dringendsten braucht und wendet sich zunächst einem Passanten zu. Es hat den Anschein, als sei er bereits tot, aber ein schwacher Pulsschlag verrat, dass noch Hoffnung besteht. Der Kopf des Patienten ist weit nach hinten gebeugt und die Stellung kann zunächst nicht normalisiert werden. Das Gesicht des Verletzten ist gerötet und die Augen sind starr und ebenfalls rot, Hände und Beine sind unterkühlt und nahezu schwarz.

James Parkinson weist an, den Verletzten zu entkleiden und stellt einen ausgedehnten roten Striemen entlang der rechten Seite und mehrere kleine an den Beinen fest. Inzwischen ist der Verletzte in der Lage zu sprechen und gibt an, er habe starke Schmerzen an Brust und Kopf und seine unteren Extremitäten seien völlig gefühllos und unbeweglich. Der Arzt diagnostiziert einen akuten Blutstau, den er auf den Verlust der Kontraktionsaktivität der Blutgefäße zurückführt. Als Therapie wählt er folgende Maßnahme: Er wickelt Hände und Beine in einen mit einer flüchtigen Salbe beschmierten Flanell und verabreicht flüchtiges alkalisches Salz, einzuneh­men mit einem weichen Brandy und heißem Wasser. Das dadurch bewirkte Schwitzen und der Schlaf leiten alsbald die Genesung des Patienten ein. Diesen gut versorgt wissend, wendet er sich dem zweiten Verletzten zu. Auch er weist typische Verbrennungen auf der rechten Seite auf. Ansonsten ist dieser Patient jedoch glücklicherweise nicht ernsthaft verletzt.

Der wissbegierige junge Arzt gibt sich jedoch nicht zufrieden mit der Versorgung seiner Patienten. Er hat sich schon lange angewöhnt, den Ursachen einer Krankheit genau auf den Grund zu gehen. So möchte er auch jetzt gerne wissen, wie es kommen konnte, dass die beiden Männer zum Blitzableiter wurden. Er inspiziert das Haus von innen und außen und stellt fest, dass der Blitz sieben bis acht unterschiedliche Wege entlang des Hauses genommen haben muss. Dachziegel sind zerstört und das Glas eines Fensters ist sogar geschmolzen.

James Parkinson ist zunächst einmal überrascht darüber, dass die Elektrizität des Blitzes nicht nur zur Kontraktion führt, sondern - wie sich am Schock zeigte - von einer völligen Relaxation gefolgt wird. Dieses Problem, denkt er, wird er einmal in Ruhe intensiver durchdenken müssen. Zunächst schaut er noch einmal nach den beiden Verletzten und lässt eine Kutsche kommen, die den schwer verletzten Patienten nach Hause bringen soll. Der gewissenhafte Arzt versäumt nicht, ihm ans Herz zu legen, die nächsten zwei Wochen bis zu seiner Genesung im Bett zu verbringen und verspricht ihm, ihn in den nächsten Tagen zu besuchen.

Nun heißt es für James Parkinson erst einmal, sich zu Hause der durchnässten Kleidung zu entledigen. Anschließend protokolliert er genauestens seine Untersuchungen. Dabei denkt er noch nicht daran, sie einmal zu publizieren. Bis dahin vergehen noch zwei Jahre, denn erst 1789 veröffentlicht er seine Arbeit Some accounts of the effects of Lightning, in der auch ein weiterer Fall eines vom Blitz getroffenen Mannes beschrieben wird.

So ähnlich wie in dieser Reise in die Vergangenheit könnte der Alltag James Parkinsons ausgesehen haben. Das hier gewählte Beispiel und die Beobachtungen sind keineswegs frei erfunden, sondern basieren auf der oben erwähnten Publikation.